Brauchen wir noch Druck-Experten?
Die Hürden für fachfremde Auftraggeber sind deutlich gesunken. Tiefgreifende Kenntnisse darüber, wie Druckanfragen zu formulieren und Druckaufträge abzuwickeln sind, werden nicht mehr zwingend benötigt. Potenzielle Kunden müssen sich beim Telefonat mit der Druckerei nicht mehr als völlig ahnungslos outen. Templates für die Gestaltung von Drucksachen werden online zur Verfügung gestellt und können direkt im Browser editiert werden – ausgebildete und kostspielige Grafiker werden hiermit obsolet. Durch den Sammeldruck, standardisierte Produkte und Prozesse können die Onliner heute unglaublich günstige Preise realisieren: 10.000 Flyer im Offsetdruck für 30,00 €? Solche Preise waren vor dem Zeitalter der Online-Drucker und Sammeldruckformen nicht denkbar. Selbst kleine, wenig finanzkräftige Unternehmen, wie der Friseur an der Ecke, können sich heute gedruckte Kommunikation leisten.
Wo früher noch teure Experten gefordert waren, genügen heute ein paar Klicks, um Gedrucktes ohne Fachkenntnisse zu gestalten und günstig einzukaufen. Die Kreation und Beschaffung von Print ist hiermit tatsächlich demokratisiert. Die Online-Drucker haben meiner Meinung nach viel dazu beigetragen, dass Gedrucktes auch im digitalen Zeitalter noch eine hohe Nachfrage erfährt.
Aber was ist eigentlich die Kehrseite der Medaille?
Und soll es doch ein individuelles Druckprodukt sein, welches nicht online bestellt werden kann, dann haben die lokalen und spezialisierten Betriebe mit unvollständigen Anfragen zu kämpfen. Die Quote der Druckanfragen, die direkt in ein Angebot gewandelt werden können, ist verschwindend gering. Druckerei-Kunden sind selten in der Lage, Spezifikationen und Anforderungen fachgerecht zu formulieren. Technische Abhängigkeiten und Unmöglichkeiten sind unbekannt. Mit den angelieferten Druckdaten sieht es oft nicht besser aus – auch diese sind in vielen Fällen fehlerbehaftet.
Schon grundlegende Fachkenntnisse potenzieller Auftraggeber gehen also verloren, bzw. waren diese nie vorhanden. Hinzu kommt, dass die grafische Industrie hoch innovativ ist und und ständig mit neuen Möglichkeiten begeistert, die bei den Kreativen unterm Radar bleiben. Heute sind im Digitaldruck Anwendungen möglich, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. Hochwertige Druckveredelungen sind in Kleinstauflagen wirtschaftlich sinnvoll umsetzbar. Die Palette bedruckbarer Substrate war nie größer. Personalisierungen, Individualisierungen und Serialisierungen sind auf der technischen Ebene überhaupt kein Problem mehr. Lediglich die Nachfrage fehlt, denn was bei den Online-Druckereien nicht angeboten wird, ist für viele schlicht nicht existent. Es wird einfach übersehen, dass die Onliner nur einen ganz kleinen Ausschnitt aller heute in unserer Branche machbaren Produkte und Technologien darstellten. Kreative und Werber, die maßgeblich an der Entwicklung von Drucksachen beteiligt sind, machen es sich zunehmend bequem. Das Potenzial von Print wird nicht im Ansatz voll ausgeschöpft.
Wer sich im technischen Bereich einer Druckproduktion unsicher fühlt, geht verständlicherweise dorthin, wo es kuschelig und bequem ist. Und hier gewinnt ganz klar das Angebot der Online-Druckereien, die von diesem Mangel profitieren. Und das ist leider ein sich selbstverstärkender Prozess. Die Bequemlichkeit führt uns in eine Abwärtsspirale, Wissen und Fertigkeiten gehen verloren und werden nur unzureichend über Technologien ersetzt. Oder anders ausgedrückt: Wer kann heute noch ohne Navi navigieren und Straßenkarten lesen? Use it or lose it.
Wir brauchen mehr Print-Experten, die nicht von einer Software ersetzt werden können und in der Lage sind, maßgeschneiderte Print-Kommunikation zu entwickeln. Und es benötigt kreative Mitspieler, die verstehen, welche Mehrwerte ein gut konzipiertes Druckprodukt liefert und fähig sind, Ihre Auftraggeber hiervon zu überzeugen.
Und warum ist das so?
Lehrende Experten, die den nötigen Überblick und tiefgreifende Fachkenntnisse haben, fehlen. Die Rahmenlehrpläne sind lückenhaft und unvollständig. In den Betrieben selbst wird leider zu oft nur das vermittelt, was den eigenen technischen Möglichkeiten entspricht. Im Job fehlt dann oft die Zeit und Motivation, um sich Expertenwissen anzueignen.
Viele Kreative und Entscheider wissen wenig darüber, wie gedruckte Kommunikation zu entwickeln ist, um das gewünschte Kommunikationsziel zu erreichen. Viele Studien belegen eindeutig, wie wirksam Gedrucktes sein kann, wenn es „richtig“ gemacht wird. Dieses Wissen muss schon in der Konzeptionsphase und bei der Entwicklung von analogen Kommunikationsmaßnahmen mit einfließen, um überdurchschnittliche Responsequoten, erfolgreiche Kampagnen und Produkte realisieren zu können. Dieses Vorgehen erfordert tiefgreifende und interdisziplinäres Wissen über die Werbepsychologie, die Druckbranche und deren Möglichkeiten. Nur wer weiß, wie mächtig haptische Kommunikation sein kann, wird erkennen, dass Content eben doch nicht alles ist.
Wer aktuelle Studien im Bereich der Multisensorik studiert, der wird feststellen, dass es schlicht fahrlässig ist, Print nicht entsprechend einer Botschaft, Marke oder eines Produktes zu entwickeln. Hier geht unglaublich viel Geld und Potenzial verloren! Leider ist das bei Vielen noch nicht angekommen. Der Wille zur Spezialisierung auf Print ist selten vorhanden, die Notwendigkeit wird nicht erkannt. Es geht ja auch ohne tiefgreifende Kenntnisse. Digitale Medien erscheinen ohnehin attraktiver.
Dann sind da noch die vielen Druckereien, die leider viel zu selten beratungsstark sind, und sich selten an komplexen Produktionen interessiert zeigen. Einige wenige Drucker haben die Zeichen der Zeit erkannt, spezialisieren sich auf maßgeschneiderte Drucklösungen und beraten über die eigenen technischen Möglichkeiten hinaus. Sie übernehmen damit quasi den Job des Print-Produktioners. Und ganz offensichtlich geht es diesen Betrieben gut. Es ist unserer Branche zu wünschen, dass noch viel mehr Drucker auf diesen Zug aufspringen. Denn dahin wird die Reise hoffentlich gehen: Weg vom standardisierten Massendruckmarkt, hin zu maßgeschneiderten Lösungen.
Ich sehe hier ein großes Vakuum und eine Abwärtsspirale. Ja, die Online-Drucker haben den Zugang zum Markt extrem vereinfacht und demokratisiert. Für das Angebotene braucht es keine Experten mehr.
Print wird zum Logistikkanal, zum reinen Informationsträger degradiert, für den kein Expertenwissen notwendig ist. Wir werden überschwemmt mit lieblosen, standardisierten und unterentwickelten Drucksachen. Es wird immer schwieriger in dem Meer gedruckter Kommunikation aufzufallen. Noch mehr und ähnlich einfallslos zu drucken kann keine Antwort sein. Sicher ist: Individuelle, maßgeschneiderte Druckproduktionen sind mit komplexen Gedanken und Kreativprozessen verbunden. Hinzu kommt dann noch die technische Dimension. Dieser anspruchsvolle Vorgang wird auch in Zukunft nicht von Software abgedeckt werden, denn hier versagt schlicht die Technik.
1 Kommentar
Ein spannender und reflektierter Blick auf die Zukunft des Druckwesens! Die Demokratisierung durch Online-Druckereien hat zweifellos den Zugang vereinfacht, doch dieser Beitrag verdeutlicht, dass wirkliche Expertise und Kreativität nach wie vor gefragt sind.
Die Notwendigkeit von Print-Experten, die nicht nur technisches Wissen, sondern auch tiefe Gestaltungsfähigkeiten besitzen, wird hervorragend betont. In einer Zeit, in der standardisierte Kommunikation dominieren könnte, appelliert der Artikel an eine sorgfältige und maßgeschneiderte Herangehensweise an gedruckte Materialien. Ein Appell für Fachwissen und Innovation, um das Potenzial von Print voll auszuschöpfen.