»Jedes auf Papier basierende Druckprodukt besteht aus einem nachwachsenden Rohstoff. Wie viele andere Industrien können das von sich behaupten?«
Hier möchte ich unterschiedliche Akteure der Branche zu Wort kommen lassen, herausfinden, wie sie Nachhaltigkeit verstehen und welche konkreten Maßnahmen sie ergreifen. Heute im Ring: Anne-Katrin Kohlmorgen von Two Sides Germany.

Managing Partner bei
Two Sides Germany
Liebe Anne, du bist als Managin Partner für Two Sides Germany tätig. Was genau ist Two Sides, wer finanziert diese Initiative und welche Ziele verfolgt ihr?
Ihr leistet Aufklärungsarbeit rund um das Thema Papier. Welche sind die in deinen Augen drei bedeutungsvollsten Mythen, die sich um die Nutzung und Herstellung von Papier ranken?
Darüber hinaus geben Zertifizierungssysteme Sicherheit über die Herkunft der Rohstoffe. Auch was Emissionen und den Wasserverbrauch angeht, hat sich viel getan. Die Papierindustrie ist einer der Wirtschaftszweige, der seinen CO2-Ausstoß deutlich verringern konnte und sich zum Ziel gesetzt hat, diesen noch weiter nach unten zu bringen. Und auch beim Wasserverbrauch sieht es gut aus. Viele Papiermühlen haben eigene Versorgungskreisläufe, die so effizient sind, dass 90 % des Wassers aufbereitet wieder in den natürlichen Wasserkreislauf zurückgeführt werden. Und zur Waldfläche selbst, nun ja, die wächst in Europa kontinuierlich um eine Fläche von etwa 58.390 km2 pro Jahr.
Die Kreislaufwirtschaft gilt als Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaften. Bei einer Recyclingquote von ca. 80 % und nachwachsender Rohstoffe ist Papier per Definition eine ziemlich nachhaltige Sache. Wie siehst du das und wo gibt es deiner Meinung nach Optimierungspotenzial?
Optimierungspotenzial liegt für mich in den Kreislaufprozessen und in der Aufklärung, was wirklich in die Altpapiersammlung darf – Paradebeispiel sind Kaffeebecher und Pizzakartons. Machen Beschichtungen und Verunreinigungen Recycling unmöglich? Nein! Jede Faser hilft und die Aufbereitungsmöglichkeiten werden immer besser. Es ist irre, was inzwischen geht. Auch beim De-Inking, denn die Farbe von bedruckten Papieren muss ja raus.
In einer aktuellen Studie hat Two Sides untersucht, wie Verbraucher über Papier denken. Welche wesentlichen Erkenntnisse deckt diese Untersuchung auf?
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Wie beurteilt ihr Papiere mit einem Anteil an Fasern aus z.B. Gras oder der Silphie? Laut Aussagen der Anbieter ergeben sich hier große Umweltvorteile gegenüber den konventionellen Bedruckstoffen. Ist das eine sinnvolle Ergänzung oder gar eine Alternative zum konventionellen Rohstoff Holz? Wie positioniert sich Two Sides hier?
Wie definierst du ein nachhaltiges Druckprodukt? Welche Kriterien müssen hierfür erfüllt sein? Und ist dieses Schwarz-Weiß-Denken vielleicht sogar kontraproduktiv, weil es Druckprodukte in gut und schlecht einteilt? Schadet diese Diskussion am Ende der gesamten Druck- und Papierbranche?
1. Jedes Druckprodukt, das mit Papier zu tun hat, arbeitet zunächst mit einem nachwachsenden Rohstoff. Wie viele andere Industrien können das von sich behaupten?
2. Nur weil ein Produkt nicht explizit auf Nachhaltigkeitsaspekte hinweist, macht es das nicht automatisch weniger nachhaltig. Manchmal hat man ein Zertifikat einfach (noch) nicht beantragt.
Ein wesentlicher Faktor ist für mich aber auch die Siegel-Landschaft in Deutschland. Es gibt zu viele diverse DIN, RAL und dann Blauer Engel, FSC oder PEFC. Sie alle stehen für etwas anderes, bestätigen unterschiedliche Aspekte. Und nun kommt meine Gegenfrage:
Welcher Drucker hat die Zeit, alle zu beantragen, Prüfprozesse zu durchlaufen und den Vergabeprozess von A bis Z abzuschließen? So etwas geht nicht über Nacht und das Kerngeschäft liegt woanders.
Ich plädiere hier für etwas ganz anderes: Eigenverantwortung und Transparenz . Mit den Kunden sprechen, Produkte erklären, Hintergründe zu Produktion, Nachhaltigkeit, Energieaufwand, Farben etc. in Sales-Unterlagen oder auf der Website erläutern und Prozesse verständlich machen. Wenn die Kunden besser verstehen, um was es geht, ist das die halbe Miete.
Es soll Menschen geben, die in Papierprodukten einfach tote Bäume sehen. Wie viel Wald steckt tatsächlich im Papier?
Print muss sich in puncto Umweltrelevanz mit digitalen Anwendungen messen lassen. Unternehmen setzten vermehrt auf digitale Kanäle und argumentieren dies mit einer besseren Öko-Bilanz. Mit eurer Anti-Greenwash-Kampagne enttarnt ihr solche Aussagen. Was steckt genau dahinter?
Häufig wird vergessen, dass nicht jeder den Zugang oder die Kenntnisse zur dafür notwendigen Infrastruktur hat und damit Menschen auf der Strecke bleiben.
Viel wichtiger ist aber, dass so mancher zu denken scheint, was ich nicht sehe, ist nicht da. Auch E-Mails hinterlassen einen CO2-Abdruck und der ist nicht klein. Wenn wir ähnlich wie beim Papier auch die notwendigen Trägermedien wie PC, Laptop, Smartphone und deren Produktion einbeziehen, ebenso wie der Betrieb im Büro aber auch den Servern und Rechenzentren, entsteht hier schnell ein anderes Bild.
Genau dafür möchten wir die Firmen sensibilisieren, suchen den Kontakt mit ihnen und weisen darauf hin mit der Bitte neue, weniger missverständlich oder verunglimpfende Aussagen zu machen. Damit haben wir eine Erfolgsquote von 54%. Die Kampagne hilft also nicht nur dabei, Papier anders wahrzunehmen, sondern hemmt auch die Verbreitung solcher Fehlannahmen.
Die Initiative „Letzte Werbung“ fordert ein Verbot von unadressierten Werbesendungen. Hier wird mit harten Zahlen argumentiert, etwa, dass nur 17 % der deutschen Bevölkerung Briefkastenwerbung begrüßen. Wie positioniert ihr euch zu der Forderung eines Opt-In-Verfahrens für die Zustellung unadressierter Werbung?
Müssen wir gesellschaftliche Nachhaltigkeitsfragen nicht auch mit einer Reduzierung des Papierkonsums beantworten? Ist Klasse statt Masse der vielleicht bessere Weg? Brauchen wir kreativere Print-Produkte, die stärker wertgeschätzt werden?
In Sachen Wertschätzung geht es doch auch ganz klar immer um die Frage, was einem selbst wichtig ist. Liebe ich Zeitschriften oder das Lesen meiner Sonntagszeitung, wäre das sicher etwas, für das sich der Einzelne viel stärker begeistert und einsetzt als einen Flyer. Bei einem Designliebhaber kann das schon wieder ganz anders aussehen. Generell lässt sich auf jeden Fall festhalten, das belegen auch Untersuchungen, das Schreiben auf hochwertigem Papier oder toll aufgemachte Printprodukte beim Empfänger viel stärker im Gedächtnis bleiben. Wir haben hier zwei Säulen: Verantwortungsbewusstsein in Produktion UND Nutzung und der Qualitätsaspekt in angemessenem Rahmen.
Wagen wir einen Blick in die Glaskugel. Wie wird sich der Papier- und Druckmarkt im Bereich der Nachhaltigkeit entwickeln. Welche großen Veränderungen siehst du hier in einem Zeithorizont von 5 – 10 Jahren?
Zum Abschluss eine persönliche Frage: Welches Druckprodukt ist aus deinem Leben nicht wegzudenken?
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2 Kommentare
Ich freu mich auf weitere Artikel der Serie! Besonders, wenn verschiedene Positionen zu Wort kommen – ist „Letzte Werbung“ dafür auch angefragt? 🙂
Liebe Sina, vielen Dank für dein Feedback. Ja, die Initiative Letzte Werbung steht auf meiner Liste!