»Mit Cradle to Cradle möchten wir ein Zeichen setzen!«
Bereits Ende der 1990-er Jahre entwarfen der deutsche Chemiker Michael Braungart und der US-amerikanischen Architekt William McDonough die Denkrichtung Cradle to Cradle (C2C). Der C2C-Philosophie entsprechend, sind Cradle-to-Cradle-Produkte entweder technische Nährstoffe, die in technischen Kreisläufen gehalten werden können oder als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückgeführt werden. Dieser Ansatz kennt also keine Abfälle. C2C nimmt auch in der Papier- und Druckbranche an Fahrt auf. Das hat der Papierhersteller Mondi längst erkannt und gleich 111 Papiermarken nach C2C zertifiziert. Im Rahmen meiner Interview- und Artikelreihe PRINT IS NOT BAD sprach ich mit Bernhard Cantzler von Mondi über dieses Engagement.
Für die, die mit Cradle to Cradle nicht viel anfangen können: Welche Philosophie verfolgt dieses System und welche Nachhaltigkeitskategorien werden bei einer Zertifizierung gemäß Cradle to Cradle Certified® Product Standard bewertet?
Cradle to Cradle Certified® nimmt sich die Natur zum Vorbild. In der Natur gibt es keinen Abfall – das Blatt, das vom Baum zu Boden fällt, wird zum Nährstoff für neue Bäume. Auf die Wirtschaft umgelegt bedeutet das, dass kreislauffähige Produkte entwickelt werden, deren Rohstoffe in mehreren Zyklen immer wieder neu verwendet werden. Es geht also um einen umfassenden, holistischen Weg zur Kreislaufwirtschaft. Dabei werden folgende fünf Kategorien untersucht:
- Material Health: Sichere Materialien für Mensch und Umwelt.
- Product Circularity: Regenerative Produkte und Prozesse, die eine Kreislaufwirtschaft ermöglichen.
- Clean Air & Climate Protection: Saubere Luft und erneuerbare Energien.
- Water & Soil Stewardship: Sauberes Wasser und gesunde Böden.
- Social Fairness: Menschenrechte und ein Beitrag zu einer fairen, gerechten Gesellschaft.
Warum haben Sie sich für Cradle to Cradle Certified® entschieden?
Mondi hat mit MAP2030 einen ambitionierten Nachhaltigkeits-Aktionsplan vorgelegt. Ein wichtiger Teil davon sind kreislauffähige Produkte. Mondi will bis 2025 nur noch wiederverwendbare, rezyklierbare oder kompostierbare Produkte anbieten. Für den nächsten Schritt hin zur Kreislaufwirtschaft haben wir mit dem Cradle to Cradle Products Innovation Institute einen idealen Partner gefunden. Mit der Zertifizierung wissen wir nun, wo wir heute stehen, und wo wir noch besser werden müssen.
Aber war Ihr Papier zuvor nicht schon kreislauffähig?
Unsere Papiere waren bereits rezyklierbar, und Recycling ist ein Kreislaufprozess, insofern ist das richtig. Kreislaufwirtschaft geht über Recycling hinaus und beschäftigt sich auch damit, was am Lebensende eines Produktes passiert, also dann, wenn es nicht mehr rezykliert werden kann.
Sie haben jüngst eine breitere Palette Ihrer ungestrichenen Feinstpapiere nach Cradle to Cradle Certified® prüfen lassen. Wo lagen die Herausforderungen?
Die Breite der Palette war die größte Herausforderung. Wir wollten nicht eine bestimmte Papiermarke herauspicken, sondern als Mondi Uncoated Fine Paper insgesamt einen großen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft machen. Wir sprechen hier von 111 Papiermarken, die an drei verschiedenen Standorten in drei Ländern hergestellt werden. Das gab es bisher in dieser Größenordnung in der Papierindustrie noch nicht.
Sie musste also nichts an den Rezepturen und Inhaltsstoffen der Papiere verändern?
Im ersten Schritt nicht. Wir wissen jetzt aber, wo wir ansetzen müssen, um bei der Erneuerung des Zertifikats in zwei Jahren unsere Stufe zu verbessern.
Wie sieht es mit Recyclingpapieren aus? Nach meinen Informationen waren diese bisher für Cradle to Cradle nicht geeignet.
Recycling ist ein Kreislaufprozess, deshalb wollten wir unsere Nautilus-Recyclingpapiere ebenfalls miteinbeziehen. Hier sind wir tatsächlich die ersten, die erfolgreich Cradle to Cradle Certified® in der Stufe Bronze für Recyclingpapiere erreichen konnten. Es gibt Herausforderungen, wenn wir uns weiter verbessern wollen, vor allem bei der Chlorfreiheit des Produkts. Wir können zwar in unserem Herstellungsprozess chlorfrei arbeiten, aber nicht garantieren, dass der Rohstoff, also das Altpapier, zuvor chlorfrei gebleicht wurde. Aber genau diese ständige Suche nach besseren Lösungen ist ein wichtiger Teil von Cradle to Cradle Certified®, und da gehört Recycling dazu.
Sind bestimmte Papiere, wie z.B. durchgefärbte Sorten, nach dem heutigen Stand der Technik ebenfalls zertifizierbar? Wo liegen die Grenzen?
Es ist uns gelungen, dass alle Mondi-Markenpapiere aus unseren europäischen Werken nun Cradle to Cradle Certified® auf Stufe Bronze sind. Das gilt auch für durchgefärbte Papiere wie zum Beispiel Pergraphica Colours. Die verwendeten Inhaltsstoffe mussten natürlich früher schon der Europäischen Chemikalienverordnung REACH entsprechen. Außerdem sind alle unsere Papiere rezyklierbar. Für den Cradle to Cradle Certified® Products Standard sind dennoch alle Materialien noch einmal durchleuchtet worden. Und wir wissen nun auch, welche Stoffe wir mittelfristig ersetzen werden, um noch besser zu werden.
Der Cradle to Cradle Certified® Product Standard ist kein dedizierter Standard für die Papierbranche. Inwieweit kann der Zertifizierer hier sinnvolle Vorgaben machen?
Unsere Produkte verfügen über eine ganze Reihe spezifischer Zertifikate für die Papierindustrie. Nachhaltige und verantwortungsvolle Forstwirtschaft ist ein Teil unserer DNA, und wird durch unsere FSC™- oder PEFC™-zertifizierten Markenpapiere unterstrichen. Andere, wie zum Beispiel das EU Ecolabel, gehen über die Produktkategorie hinaus. Gerade beim Thema Kreislaufwirtschaft ist es absolut sinnvoll, wenn Expertinnen und Experten für Zirkularität zum Zug kommen. Und da führt kein Weg am Cradle to Cradle Products Innovation Institute vorbei. Es ist auch so, dass sich nicht jedes Produkt für die Kreislaufwirtschaft eignet. Papier eignet sich sehr gut. Hinzu kommt, dass die eigentliche Prüfung von spezialisierten, akkreditierten Gutachtern durchgeführt wird, die unsere Industrie gut verstehen – in unserem Fall EPEA Switzerland. Vielleicht ist der Cradle to Cradle Certified® Product Standard heute noch kein fester Standard in der Papierindustrie, aber wir als Mondi wollten hier auch einmal mehr den Standard setzen.
»Nachhaltige und verantwortungsvolle Forstwirtschaft ist ein Teil unserer DNA.«
Wie genau kann ich mir eine solche Zertifizierung vorstellen? Wie groß ist der Aufwand?
Der Aufwand ist tatsächlich nicht zu unterschätzen. Vom Projektstart bis zur Zertifizierung haben wir sieben Monate und drei Tage lang gearbeitet. Unsere Markenpapiere bestehen aus 250 verschiedenen Materialien, die alle in Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten evaluiert werden mussten. Drei Papierfabriken wurden geprüft.
Mit dem Blauen Engel haben wir bereits ein starkes Umweltsiegel für Papiere. Wo genau liegen die Unterschiede zwischen dem Blauen Engel und Cradle to Cradle Certified®?
Im Papierbereich liegt der Schwerpunkt des Blauen Engels auf Recyclingprodukten und der Begrenzung des Einsatzes von optischen Aufhellern. Mehrere Papiere unseres Recycling-Sortiments NAUTILUS® sind daher mit dem Blauen Engel ausgezeichnet. Bei Cradle to Cradle Certified® geht es um die Entwicklung zur Kreislaufwirtschaft, und damit die Kreislauffähigkeit aller unserer Markenpapiere, auch jener aus Frischfasern. Das sind einfach unterschiedliche Aspekte des Themas Nachhaltigkeit, die beide Sinn machen.
Auch Interessant: Mein Interview mit der Druckerei Lokay zu Cradle to Cradle.
Werden Cradle to Cradle Certified® Papiere von Ihren Kunden angefragt? Ist das tatsächlich ein Markt und wie denken Sie, wird sich dieser entwickeln?
Das Interesse unserer Kunden ist groß. Das sehen wir auch an den vielen Reaktionen auf die Ankündigung unserer Zertifizierung. Nachhaltigkeit ist ein Megatrend der Branche, und das wird in den nächsten Jahren noch zunehmen. Dementsprechend viel Bewegung ist auch im Markt, wenn es um dieses Thema geht. Wir bei Mondi haben einerseits, wie anfangs erwähnt, ambitionierte Ziele, und sind andererseits bei Nachhaltigkeit schon immer mit gutem Beispiel vorangegangen. Mit Cradle to Cradle Certified® Bronze für alle unsere Mondi-Markenpapiere wollen wir ein Zeichen setzen: Das Ziel ist echte Kreislaufwirtschaft, und wir kennen den Weg dorthin jetzt noch besser. Es gibt aber auch einiges zu tun, nicht nur in der Papierindustrie. Wir möchten Vertreter der Druck- und Papierverarbeitungsbranche für das Thema sensibilisieren und unsere Partner dazu anregen, sich in Richtung Kreislaufwirtschaft zu entwickeln.
»Das Ziel ist echte Kreislaufwirtschaft.«
Wie verhält sich das mit den Kosten? Verteuert Cradle to Cradle Certified® das Papier?
Nein, es gibt keinen Aufpreis für das Zertifikat. Cradle to Cradle Certified® Bronze ist der neue Standard für alle unsere Mondi-Markenpapiere aus unseren europäischen Werken. Es gibt diverse Faktoren, die den Papierpreis beeinflussen, das Zertifikat ist keiner davon.
Wie definieren Sie ein nachhaltiges Druckprodukt?
Ein Druckprodukt ist dann nachhaltig, wenn dessen ökologischer Fußabdruck von der ersten Idee über die Produktion bis hin zur Nutzung, Wiedernutzung und Entsorgung durchdacht ist. Je nachdem, wofür dieses Druckprodukt gedacht ist, wird die Lösung eine andere sein. Eine kleine Dankeskarte wird wohl schnell im Altpapier landen; da ist Recyclingpapier eine ressourcenschonende Variante. Ein hochwertiger Kunstband wird lange behalten und immer wieder genutzt – da ist es nachhaltig, auf höchste Druckqualität und langlebige Materialien zu setzen.
Erlauben Sie mir noch eine persönliche Frage: Wann war Ihr grünes Gewissen das letzte Mal angekratzt?
Ich glaube, dass nachhaltiges Denken eine grundlegende Haltung ist. Das ist nicht etwas, was erfolgreich abgeschlossen sein kann. Daher versuche ich, mich und meine Umwelt immer aufzufordern, nach neuen Lösungen zu suchen.
Vielen Dank für das erhellende Gespräch!
Im Rahmen meiner Kampagne PRINT IS NOT BAD führte ich weitere lesenswerte Interviews. Hier eine kleine Auswahl:
- grüner Drucken mit der Grasdruckerei
- Vegan Drucken mit dem V-Label
- Die zwei Seiten der Nachhaltigkeit
- Der Impact ist entscheidend!
- Cradle to Cradle: neue Kreislaufwirtschaft für Print?
- Koehler Paper: In achter Generation Nachhaltig
- Nachhaltig Drucken mit Silphie-Papier
- Zweigleisig zu mehr Nachhaltigkeit
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